zur Erinnerung

Abschied ist ein leises Wort

Demmler, Kurt

Siebholz, Gerhard


Kurt Demmler * 12. September 1943 in Posen als Kurt Abramowitsch;
† 03. Februar 2009 in Berlin
( 65 Jahre )
war ein deutscher Liedermacher und Texter vieler DDR-Rockbands.

Als Sohn eines Ärzteehepaars wuchs er in Cottbus auf und wohnte ab 1956 in Klingenthal. Sein leiblicher Vater ging als Fliegersoldat während des Zweiten Weltkrieges verschollen und starb vor der Geburt seines Sohnes. Kurts Mutter heiratete den Medizinstudenten Heinz Demmler. Aus der Ehe gingen zwei weitere Kinder hervor. Heinz Demmler arbeitete als Gynäkologe und später als Chefarzt im Krankenhaus Schöneck. Er trat zu Beginn seiner Karriere aus der SED aus.

Von 1950 bis 1962 besuchte Kurt Demmler die Grundschule und die Erweiterte Oberschule, die er mit dem Abitur abschloss. In der 11. Klasse wurde er Mitglied der FDJ, um studieren zu dürfen. Ab der Grundschule erhielt Demmler Klavierunterricht, sang im Kirchenchor und lernte autodidaktisch Gitarre.

Nach dem Abitur trat Demmler 1963 ein Medizinstudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität an. Den Wehrdienst konnte er durch den Einfluss seines Vaters mit einem einjährigen Vorpraktikum am Kreiskrankenhaus Schöneck von 1962 bis 1963 aussetzen. Zudem hatte Demmler sich beim Erich-Weinert-Ensemble der NVA beworben. Demmler und der spätere Schlagersänger Frank Schöbel wurden ausgewählt.

Während seines Studiums wurde von Seiten des MfS unter Androhung von fünf Jahren Zuchthaus und Exmatrikulation wegen kritischer Liedtexte versucht, Demmler als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu gewinnen. Mit Verweis auf seinen hippokratischen Eid lehnte er ab. Da er versprach, künftig nur im universitären Rahmen aufzutreten (Louis-Fürnberg-Ensemble), wurden keine Sanktionen gegen ihn verhängt.

Während des Medizinstudiums knüpfte Demmler Kontakte zum Jugendradiosender DT 64 und zum Oktoberklub (vormals Hootenanny-Klub, Berlin). Letzterem trat er 1967 bei und lernte dadurch Gisela Steineckert und andere kennen, die sein (politisches) Denken stark beeinflussten. Die Probleme, mit denen er konfrontiert wurde, sah er unter diesem Einfluss als Auswirkungen des Konkurrenzkampfes mit der BRD und dem Kapitalismus allgemein an und suchte sie nicht (mehr) im sozialistischen System. Sein Repertoire umfasste zu dieser Zeit Lieder wie das „Lied vom Vaterland“ oder „Ho Chi Minh“. Er komponierte für das Pfingsttreffen der FDJ 1967 das Lied „Was machen wir zu Pfingsten“ gemeinsam mit Mitgliedern von DT 64. Demmlers Teilnahme am Oktoberklub endete bereits nach einem halben Jahr; nach eigener Angabe wegen des Singens kritischer Lieder.

Die 1970er Jahre waren Demmlers produktivste Zeit. Nach Aussage von Jörg Stempel, ab 1981 Amiga-Redakteur, schrieb Demmler für „fast alle“. Nach eigener Aussage verfasste er in 25 Jahren 10.000 Texte. Die beachtliche Zahl hängt damit zusammen, dass Demmler oft „mehrfachangebote auf von komponisten, bands und interpreten zum texten überlassene musikdemos“ verfasste. Dieser Produktivität wegen war er finanziell abgesichert und soll im Laufe der Jahre Tantiemen im sechsstelligen Bereich erhalten haben. Neben dem Kontakt zur Klaus Renft Combo begann seine Zusammenarbeit mit Veronika Fischer, Franz Bartzsch und Nina Hagen, aber auch ausländischen Interpreten wie Omega, Locomotiv GT oder der westdeutschen Interpretin Katja Ebstein. Er textete für Frank Schöbel, Dani Marsan, Aurora Lacasa, Hans-Jürgen Beyer, Lift, Express Berlin, Prinzip, Winni II, Uve Schikora und seine Gruppe und viele andere.

Als Wolf Biermann 1976 die Wiedereinreise in die DDR verwehrt wurde, unterzeichnete Demmler neben Uschi Brüning, Reinhard Lakomy und anderen Kunstschaffenden ein Protestschreiben gegen Biermanns Ausbürgerung. Das Resultat war die Sperrung als aktiver Künstler und ein absolutes Aufführungsverbot für zweieinhalb Jahre.

Autor konnte und durfte Demmler weiterhin bleiben. Als ihn Mitglieder der Stern-Combo Meißen fragten, ob er für sie Stefan Zweigs Novelle Kampf um den Südpol (1977) zu einem Liedtext umarbeiten könne, entstand ihr gleichnamiger, erster großer Hit.

In der zweiten Hälfte der 1970er wurden noch mehr Lieder mit Demmler-Texten veröffentlicht als in der ersten Hälfte, beispielsweise von WIR, 4 PS, Set, Karat (der Titel „König der Welt“ mit Demmlers Text platzierte Karat „monatelang an der Spitze der DDR-Hitparaden“), Berluc, Regine Dobberschütz, B. E. M., Dorit Gäbler, Karussell, Kreis, Dialog und weiteren. Seine Single „Das Mädchen, das die Taschen hält“ erschien 1978 und ein Jahr später sein Album nach dem gleichnamigen 1970er-Jahre-Bühnenprogramm „Komm in mein Gitarrenboot“; unter anderem mit dem vorgenannten Lied und „Wanda“, einem Lied über die verbotene Liebe von Lehrer und Schülerin. Aus den vor 1976 entstandenen Kontakten entsprangen z. B. Lifts „Und es schuf der Mensch die Erde“ (1977), Prinzips „Sieben Meter Seidenband“ (1978) oder Stern-Combo Meißens Konzeptalbum „Weißes Gold“ (1978). Der Schallplattentext des letzteren wurde von der Band geändert, sodass Demmler einen Gerichtsprozess anstrengte, den er teilweise gewann. In einem Zeitungsartikel äußerte er 1978: „Mit manchen Lektoren […] ist es nicht immer einfach zusammenzuarbeiten, weil sie diesen oder jenen Text nicht eher aus den Händen geben, bis sich nicht auch ihre Handschrift im Text niederschlägt.“

Im neuen Jahrzehnt konnte Demmler an seine Erfolge anknüpfen. Er textete nun auch für (Familie) Silly, die Puhdys („Neue Helden“ (1989) unter dem Pseudonym Kowarski), Pankow, Peter Tschernig, Maja Catrin Fritsche, Reform, G. E. S., Drei, Sascha Thom, Ralf Bursy und weitere. Das nächste eigene Album „Jeder Mensch kann jeden lieben“ erschien 1982. Einen bedeutenden Erfolg konnte er mit seinen „Liedern des Kleinen Prinzen“ nach Antoine de Saint-Exupéry feiern.

Wegen eines Streits mit Gisela Steineckert, inzwischen Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst, erhielt Demmler 1986 Hausverbot für den Rundfunk und verkündete öffentlich seinen Abschied in der Zeitschrift „Melodie und Rhythmus“.

In der DDR war Demmler einer ständig wechselnden Haltung des Staates zu seiner Person ausgesetzt. Zwischen Auftrittsverboten, Nationalpreis, Zensur und kommerziellem Erfolg navigierte er recht erfolgreich, während er vermutlich unter umfassender Beobachtung der Staatssicherheit stand. Diese besaß einen Nachschlüssel zu seinen Wohnungen und hatte Abhörgeräte installiert. Dennoch konnte er sich Fehltritte erlauben, ohne drakonische Strafen erwarten zu müssen. Nach der Wende und der friedlichen Revolution verlor er stark an Einfluss und Bedeutung. Die ihm unbekannten Strukturen der Bundesrepublik Deutschland überforderten ihn, wie aus zahlreichen Beiträgen auf seiner Website hervorgeht. Trotz seiner Misserfolge in der Musikszene war Demmler durch die Wiederveröffentlichung von DDR-Liedern auf CD durch Tantiemen finanziell abgesichert:

„mir sind alle auftraggeber und potentiellen partner bisher hinterhergerannt. nun gab es keine mehr. […] ich war noch nie in meinem leben so dumm rumgestanden. da die tantiemen aber noch gut liefen, ein großteil der platten wurde noch mal auf cd rausgebracht, hatte ich auch keinen druck.“

Seiner komfortablen Stellung in der DDR beraubt, fand er sich in der Musikszene nicht mehr zurecht und verurteilte den Produktionsprozess von Musik: „es geht zudem nicht mehr um ein künstlerisches produkt, nur noch um zielgruppen und kaufkraft. kreative und vertrauensvolle zusammenarbeit sind fremdwörter geworden.“ Im Jahr 2000 wurde ein Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gegen Demmler eröffnet.

2008 wurde Demmler erneut angeklagt. Es wurden Fälle zwischen 1985 und 2005 verhandelt. Zwischen 1995 und 1996 soll er in mindestens 52 Fällen Kinder missbraucht haben; zwischen 1995 und 1999 soll es allein in seiner Berliner Wohnung und in seiner Villa in Storkow zu 212 Übergriffen an Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren gekommen sein.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 2009 beging Kurt Demmler mit zwei zusammengeknoteten Gürteln Suizid.

Demmler hinterließ seine Frau und zwei erwachsene Kinder.

Denn Demmler war Liedermacher in der radikalsten Bedeutung des Begriffs. Er sang nicht nur seine eigenen Lieder, sondern er schrieb ohne Unterlass und in rasantem Tempo. Demmler war, erinnert sich Sänger Dirk Michaelis, "in der Lage, innerhalb von wenigen Minuten Texte zu schreiben, die den Nerv und das Lebensgefühl in der DDR auf den Punkt brachten."

Als eines der letzten seiner vielen, vielen Lieder schrieb Kurt Demmler vor gut einem Jahr eines über die Stasiverdächtigungen bezüglich Gregor Gysi. In "Easygysi zum 60." heißt es: "Ich glaube nicht, dass ein Mensch immer gut ist, weiß, dass was Schadhaftes einem jedem im Blut ist". Wie recht er hatte.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04